Die Abwesenheit der Farbe – ein permanente Annäherung /  Zur Kunst von Jürgen Umlauff (Dr. Alexandra Kolossa)

Am Anfang seiner Kunst, sowohl historisch als auch prozessual, steht die Farbe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn die Auseinandersetzung mit der Farbe, ihren Eigenschaften, ihrer Wahrnehmung, ihrer Phänomenologie, ist ein umfassendes Vorhaben. So umfassend, dass sich Jürgen Umlauff diesen Fragen fast ausschließlich widmet. Von dieser Umtriebigkeit und Unermüdlichkeit, zwei symptomatischen Merkmalen der Künstlerpersönlichkeit, zeugt auch sein Werk.

Innerhalb der „Analog-Serie“ suggeriert bereits ein kurzer Blick dem Betrachter, den Inhalt erfasst zu haben: Bilder in Gelb und Blau. Das ist richtig, aber längst nicht alles! Allein in der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Farbe, genauer gesagt mit zwei Farben, liegt ein enormes Potenzial, mit dem der Künstler umzugehen weiß. Ganz traditionell trägt Jürgen Umlauff Farbe auf einen Bildträger auf, meist Aquarell auf Nessel. Die Farbenpalette ist lediglich auf zwei Töne reduziert, Gelb und Blau. Ihr minimalistisches Farbenspiel beherrscht die Bildoberfläche, wobei einzelne Farbakzente in wechselnden Anordnungen dicht an dicht gesetzt werden. Was zunächst wie ein zufälliges, flächiges All-over anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine kalkulierte Struktur, als eine im Vorfeld exakt angelegte Komposition. Grundlage dieser Komposition bildet die kleinste Farbeinheit, die genau 1/64 des Bildmaßes beträgt.

Die Verwendung von Aquarellfarbe erlaubt es dem Künstler, mit der Farbintensität zu spielen. In unterschiedlich kräftigen Lasuren werden die beiden Farben alternierend aufgetragen, mal blass und durchsichtig, mal intensiv und deckend. Die Abgrenzung der einzelnen Farbfelder zueinander ist nicht exakt, die Ränder sind weich und fließend. Das ist gewollt. Denn dadurch entfaltet die Farbe ein Eigenleben, erobert sich ihren eigenen Wirkungsraum, der nicht genau vorhersehbar ist. Und darum geht es Jürgen Umlauff. Er bietet der Farbe auf der Bildoberfläche einen experimentellen Raum, ohne zu wissen, wie das Ergebnis letztlich aussehen wird. Als Künstler übernimmt er die Rolle desjenigen, der die Zutaten bereitstellt, für optimale Bedingungen sorgt, die Richtung lenkt, jedoch dem Spiel der Farben freien Lauf gibt.

Innerhalb der Farbenlehre zählen Gelb und Blau, neben Rot, zu den Primärfarben, also jene drei Grundfarben, aus denen alle anderen mischbar sind. In der selektiven, direkten Konfrontation von Blau und Gelb versucht Jürgen Umlauff die Farben an sich zu erforschen, ihre jeweiligen Grenzen, ihren Wirkungskreis, ihre wortwörtliche Auswirkung.Und das macht er– immer und immer wieder. Immer wieder aufs Neue spürt er der Farbe nach, versucht sie zu ergründen. Er arbeitet sich regelrecht an ihr ab. Und die zahlreichen Varianten belegen, dass er noch nicht am Ziel ist. Jedes Bild ist anders, jedes Bild hat sein Eigenleben. Dazu zählen die völlig weißen Zwischenräume. Gänzlich ohne Farbe bieten diese Leerstellen dem Auge des Betrachters Ruheräume. Fokussiert man den Blick auf jene Flecken, erzeugt das Gehirn sogenannte Nachbilder, die das menschliche Gehirn dahin projiziert. Als Nachbilder werden Phantombilder bezeichnet, die auch dann noch empfunden werden, wenn der ursprüngliche Farbreiz abgeklungen ist. Auf einer weißen Fläche erscheinen dann die Farbreize der Rezeptoren, die nicht aktiv waren. So erhält das Bild einen schwachen rötlichen Schimmer, obwohl die Farbe Rot gar nicht vorhanden ist. Ein weiteres Phänomen innerhalb der Wahrnehmung, das zu ergründen sich lohnt..

Neben diesen Farbfeldmalereien, die innerhalb einer Werkgruppe meist in Reihe oder Serien gehängt sind, setzt Jürgen Umlauff weitere Rasterbilder. Im starken Kontrast zu den farbigen Oberflächen bestehen diese lediglich aus einem feinen schwarzen Raster auf weißem Grund. Auch handelt es sich nicht um Malerei, sondern um Computergrafik.

Mit dem Gattungswechsel überträgt Jürgen Umlauff seine grundlegenden Fragestellungen nach der Qualität der Farbe und ihrer Wahrnehmung auf eine andere Ebene. Gerade im Kontrast liegt eine sinnvolle Ergänzung. Einerseits Malerei, andererseits Computergrafik, hier analoges Verfahren, dort digitale Bearbeitung, Bewegung gegen Starre, Eigenleben gegen berechnete Konstruktion. So unterschiedlich die beiden Bildertypen auch zunächst erscheinen mögen, so behandeln sich doch ein und dasselbe Thema. Auch hier geht es um die Abstraktion der Farbe, um Struktur, und um die Veränderung unserer visuellen Wahrnehmung. Indem Jürgen Umlauff Sehgewohnheiten hinterfragt und an deren Grundlagen arbeitet, beschäftigt er sich sozusagen mit der Chemie unseres Lebens.

Deshalb ist es nur konsequent, dass Jürgen Umlauff sich auch dem Medium des Film widmet. Dieses Genre spiegelt unsere veränderten Sehgewohnheiten besonders gut wieder. Alles wird immer schneller und informativer, immer mehr Daten, die gesehen, abgespeichert und verarbeitet werden müssen. Neben dieser Flut an rein sachlichen Informationen gibt es aber auch sinnliche und emotionale Eindrücke, die verarbeitet werden müssen. Vor allem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Bild und Abbild verschwimmen im Film.

Ein wunderbares Beispiel dafür ist das Video „4 min. in Platons Höhle“. Der Titel verweist auf das bekannte Gleichnis über Gefangene in einer Höhle, die lediglich Schatten an der Wand als ihre Umwelt kennen. Das Gleichnis hinterfragt, kurz gefasst, den Wahrheitsgehalt dessen, was wir sehen oder glauben zu sehen. Jürgen Umlauffs Höhle liegt in Köln, deren Stadtansichten verzerrt und in s/w gezeigt werden. Interessanterweise spielt Plato mit dem Gedanken, dass die Ketten der Gefangenen auch mentaler Natur sein könnten. Sie könnten sich also Kraft ihres Willens selbst befreien, wenn sie es nur wollten. Mit dieser Vorstellung im Hinterkopf kommt man zum Schluss, dass man zuerst all jenes in Frage stellen muss, was man zu sehen bekommt, um sich dann Gedanken zu machen, was es jenseits der Höhlenwand noch so alles geben könnte.

Das Wechselspiel bzw. die Verschmelzung zwischen Scheinwelt und Realität, zwischen Bild und Abbild, zwischen analoger und digitaler Welt zeigen die „Grafikkarten-Aquarelle“ von Jürgen Umlauff. Eine Grafikkarte verwandelt digitale Daten im Computer so, dass sie als Bild wiedergegeben und für den Betrachter lesbar sind. In sehr abstrahierter Form geben die Aquarelle eine solche Grafikkarte wieder. Innerhalb dieser Serie, die zu seiner jüngsten Werkgruppe zählt, spielt Jürgen Umlauff mit den verschiedenen Ebenen der Bildaussage auf fast humorvolle Weise: Eine Grafikkarte, also ein Medium, dass Bilderdaten verschlüsselt speichert, wird als Bild wiedergegeben, ebenfalls verfremdet. Der Betrachter kann sich sozusagen nun selbst ein Bild machen– jeder für sich, dem Zugriff Dritter verweigert. Aber genau um jenen Zugriff geht es in dem Video „Hacker“, das die Bilder begleitet. Der Titel setzt eine Fülle an Assoziationen frei. Von Leuten, die sich illegal Zugang zu geheimen und verschlüsselten Daten verschaffen. Es ist ein Eindringen in versteckte Bereiche, ein Vordringen in die unergründlichen Tiefen der digitalen Welt.

Jürgen Umlauff macht nichts anderes. Er hackt sich ein in die Tiefen unserer Wahrnehmung, versucht den Code zu knacken, die Geheimnisse zu lüften, investigativ und beharrlich– als Maler und Filmemacher. Er bereitet eine Schule des Sehens für diejenigen, die sich darauf einlassen.