Umlauff´s Farbchiffren geben mehr zu denken, als sich sprachlich fassen läßt
Ein Versuch gleichwohl von Ralf Kulschewskij
„Mannigfache Wege gehen die Menschen,“ beobachtete der romantische Dichterphilosoph Novalis und befand: „Wer sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche Figuren entstehen sehn; Figuren, die zu jener großen Chiffernschrift zu gehören scheinen, die man überall, in Wolken, im Schnee, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Äußeren der Gebirge, in Pflanzen, in den Lichtern des Himmels und sonderbaren Konjunkturen des Zufalls erblickt. In ihnen“, so sein zuversichtliches Fazit, „ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben“. Eine mühevoll schrittweise, stets verantwortungsbewußt skrupulöse, immer aber unbedingt wissbegierige Annäherung an diese geheimnishafte Hieroglyphik stellt die Entwicklung des 1960 geborenen Malers Jürgen Umlauff dar.
Nach breitgefächert experimentellen Anfängen mit verschiedenen Pastos aufgetragenen Materialien (Harzöl, Eitempera u.a.), folgen Collagen aus unterschiedlichen Papieren, die in mehreren Lagen eine reliefartige Oberflächengestalt annehmen und mit jeweils dominanten Hauptfarben (bevorzugt Ocker und Rot) und alludierenden Nebentönen insbesondere nach Anregungen aus der Natur, Spanien 1989 ein vielfältiges koloristisches Spektrum eröffnen. Eine umfangreiche Werkgruppe von Aquarellen der Jahre 1992-1994, in denen ausschließlich in Zinnober/Blau/Schwarz Farbflächen zu und gegeneinander gesetzt werden, zeitigt die Erfahrung, daß (entgegen Kandinsky und Raimer Jochims) Farbe genuin amorph sei: erst der Malakt verleihe ihr eine Form, oft eine spiralige Bewegung (vgl. Altdorfers Alexanderschlacht und vieles von van Gogh); das bedeutet: erst in der praktischen Maltätigkeit erreicht die Farbe eine geistige Dimension. Zum Nachprüfen angefertigte Blätter mit Musterformen (Rastern, Gittern) ergeben den „negativen“ Entscheid, die Farbe bedürfe keiner (geometrischen) Formen. Daraus resultiert Umlauffs Ablehnung vorgefaßter, dem Malakt aufoktroyierter Bildvorstellungen. Geradezu unumgänglich nach diesem Vorlauf und dem konstitutiv aufklärerischen Impetus des Künstlers entsprechend, folgen 1996 Explorationen im Farbdreieck Rot/Gelb/Blau. Natürlich nicht ohne Blick auf die kunsthistorisch beispielhaft vorliegenden Primärfarben Triptychen (Alexander Rodtschenko, 1921; Yves Klein, 1960; Barnett Newmans vier Versionen „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“, 1966-7o) erfährt Umlauff die sowohl optisch als auch psychisch evidente, im doppelten Sinne „anziehende“ Wirkung der Farbe Rot: selbst bei seinen in viel Wasser gelösten und auf großformatige Leinwände verteilt agierenden Pigmenten ist festzustellen, daß das Rot (ein Krapprot, und zwar auch das „dünne“, feine, zarte) stets dem Auge am nächsten kommt und ihm die anderen beiden Farben „vermittelt“. Gerade weil es ihm aber (im Unterschied zu Rodtschenko) keineswegs darum geht, die Malerei zu ihrem logischen Ende zu führen, sondern sie überhaupt erst recht zu ergründen, muß es ihm darum gehen, das seiner Auffassung nach „evolutionär jüngere“ und sympathischere Rot zu eliminieren, um die elementareren Gelb und Blau zu „entdecken“, womöglich aus ihrer Distanz zu locken.
Das ist leichter gesagt als getan ähnliche Bestrebungen hat es in der europäischen Kunstgeschichte bereits mehrmals gegeben. Noch innerhalb der Periode eines komponierenden Farbenstils in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts ist ein plötzlicher Umschlag von Rot/Gelb/Blau mit verhältnismäßig warmer Atmosphäre zur Kombination Blau/Gelb „mit entschieden kalter Farbenstimmung“ (Lorenz Dittmann) zu erkennen. Eine ähnliche Tendenz ist praktisch bei William Turner zu beobachten im theoretischen Anschluß freilich an die „Polaritäten“ in Goethes Farbenlehre:
Plus / Minus Gelb / Blau Licht / Schatten Hell / Dunkel Wärme / Kälte Nähe / Ferne u.a.
„Eigentlich akzeptierte Goethe, sogar nur zwei Grundfarben, das aktive Gelb und das passive Blau, die sich ins Grün mischten und ins Rot steigerten“ (Helmut Draxler). Nun war Goethes -bekanntlich übrigens unhaltbare- Farbenkunde „der Versuch, eine Heilslehre zur Deckung zu bringen mit der empirischen Wirklichkeit und das vorgewußte Wahre so als Wirkliches auszuweisen“ (Albrecht Schöne). Jürgen Umlauff nun ist es um nichts weniger zu tun als um eine solche „Farbentheologie“. Umso frappanter treten dem Betrachter die farblichen Phänomene in seinen neueren Arbeiten ab 1996, den „Iterationen“ entgegen.
Der Versuch, das Rot nicht nur zu marginalisieren, sondern es vollständig zu eliminieren, gelingt nämlich schwer. Das Rot erscheint (scheint in zweifacher Bedeutung) immer wieder es ist nicht im substantiell gemalten, aber doch im optisch wahrnehmenden Sinne fortwährend da. Als ein „Hof“ wie um eine Lichtquelle, als umgebende „Aura“ oder unfangender „Halo“. Dieser irritierende Effekt wäre möglicherweise durch ein härteres Aneinenderstoßen der beiden „akzeptierten“ Farben zu vermeiden. Denn worum es dem Maler eigentlich geht, ist noch etwas weiteres. Sein heuristischer Drang und sein künstlerisches Vorgehen passen derart stimmig zueinander und befördern im Zusammenepiel wechselweise so konsequent, daß man angesichts dieser Kongruenz sehr wohl den Eindruck gewinnt, es könne überhaupt gar nicht anders sein. Aufgetragen mit sehr verdünntem Acryl auf Nessel oder mit Aquarell auf saugfähigem Cotton Papier, sind auf den ersten Blick tausendfältige Formen in den – nach vorgängigem Reduktionsprozeß schließlich verbliebenen – Farben sichtbar. Meist bildet das Gelb, ein Grundgelb, den gemalten Grund, während das Blau, ein Ultramarin und zwar durchwegs dasselbe, als einbeschriebenes Zeichen in den unbemalten Stellen steht. Das oszillierende Korrespondenzverhältnis erinnert an die prekäre Balance zwischen zwei Elementen unter uneindeutigen geologischen Bedingungen (Wasserpfützen und Graslandinseln im allmählich versumpfenden Tschad See etwa). Angesichts dieser Formen darf man durchaus Gebilde wie heilige und fremde Schriftzeichen (Hieroglyphen) assoziieren. Oder all die eigenartigen Mikroorganismen, die man bei einem Blick durchs Vergrößerungsglas sieht. Oder auch Wasser und Sand oder Meer und Sonne oder Himmel und Blumen. Doch haben diese Chiffren keinen letztlich eindeutig bestimmbaren Aussagewert. Voneinander abgesetzt, zueinander strebend, gelegentlich ineinander fließend sind sie lediglich Träger der Farben. Deren Verhalten, die pulsierende Bewegung zweier gegensätzlich anmutender Farben miteinander, ist m. E. das Wesentliche dieser Malerei; Motivliche Assoziationen an Naturgegebenheiten: an Feuchte und Trockenheit, an anorganisches Element und organisches Leben, sind gewiß nicht fehl am Platze. Aber die Antinomie der Farben ist es, die das Auge zu diesen Bildern zieht: das Blau der Ferne, das kühlt und die Nerven beruhigt, und das nahetretende Gelb, das weckt und duftet und die Sinne verwirrt. Diese polarisierenden Bilder des Malers Jürgen Umlauff sind als „Iterationen“ bezeichnet Annäherungen durch Wiederholung an die Widersprüchlichkeit des menschlichen Empfindens. Ihre koloristische Reduktion kanalisiert die bunte Abundanz zu mentaler Konzentration. Verblüffendes wirkungsästhetisches Paradox: je näher man sie anschaut, desto ferner schauen sie zurück. Zu erahnen zwar ist sie, die Botschaft dieser „sonderbaren Konjunkturen“ des künstlerisch gelenkten „Zufalls“. „Allein“ so bedauerte Novalis „die Ahndung will sich selbst in keine feste Formen fügen und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen.“ Auf Kant verweisend, meint Niklas Luhmann die Funktion der Kunst darin zu erblicken, „daß sie mehr zu denken gibt, als sprachlich und damit begrifflich gefaßt werden kann“. Das unterscheidet Umlauffs Werke von den unzähligen hektischen Modeprodukten. Luhmann weiter: „Was die Wahrnehmung auszeichnet, ist vor allem ein eigenständiges Verhältnis von Redundanz und Varietät. Sie ermöglicht in einer Weise, die durch kein Denken und keine Kommunikation einzuholen ist, eine gleichzeitige Präsenz von Überraschung und Wiedererkennen. Wahrnehmungsmöglichkeiten benutzend und steigernd, sie gleichsam ausbeutend, kann die Kunst die Einheit dieser Untersuchung präsentieren.“ Dies trifft für die „Iterationen“ des Malers Jürgen Umlauff im schönsten vollen Maße zu.